DIE ZEIT
Ab ins Stammland
Wie ein Landkreis in Rheinland-Pfalz 500 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo
loswerden wollte.
Von Angelika Calmez
Mayen-Koblenz
Es war ja nur eine Idee. Man habe nichts damit zu tun, heißt es, durchaus
glaubwürdig, im Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz. Offenbar haben
Mitarbeiter einer Kreisverwaltung versucht, »zunächst« 500 Balkanflüchtlinge,
die im Bundesland Rheinland-Pfalz leben, zur Ausreise zu bewegen – nicht etwa
in ihre Heimat, das Kosovo, sondern in einen völlig anderen Teil Europas,
nämlich die Slowakei.
Es geht um Roma, Angehörige eines Volkes, das im Kosovo während und nach dem
Krieg immer wieder der Verfolgung durch Serben, vor allem aber durch die
Albaner ausgesetzt gewesen ist.
In Rheinland-Pfalz lebten zum Zeitpunkt der letzten Erhebung, im Dezember
vergangenen Jahres, exakt 1059 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo ohne gültige
Aufenthaltserlaubnis. Von Rechts wegen sollten sie Deutschland verlassen, sie
dürfen aber, ebenso von Rechts wegen, angesichts der fortdauernden Gefährdung
in ihrer Heimat nicht abgeschoben werden. Arbeiten dürfen sie auch nicht,
weshalb sie den Städten und Gemeinden auf der Tasche liegen. Man wäre sie also
gerne los – aber wie? Freiwilligen Rückkehrern bezahlt das Land eine
Wiedereingliederungshilfe, doch das Programm ist nur mäßig erfolgreich.
In dieser Lage begab es sich im September vergangenen Jahres, so wird die
Geschichte heute in der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz erzählt, dass sich zwei
Roma-Familien mit guten Kontakten in Ostmitteleuropa danach erkundigten, ob das
Land ihnen zur Ausreise in die Slowakei verhelfen könne. Angeblich hätten die
fraglichen Roma sogar angedeutet, dass weitere Landsleute an dieser Möglichkeit
interessiert seien.
Leider kann man die Familien nicht dazu befragen, denn sie sind unauffindbar.
Auch ausgiebige Erkundungen unter rheinland-pfälzischen Roma führen zu keiner
Person, die sich zu dem Wunsch bekennt, in die Slowakei zu übersiedeln. Alles
andere wäre auch überraschend, denn das Elend der Roma in der Slowakei ist
allgemein bekannt. Die OSZE und die EU-Kommission setzen ihre erbärmliche
Situation immer wieder auf die Tagesordnung.
In der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz jedoch muss ein bis dahin verkannter
Ethnologe wie elektrisiert gewesen sein. Lebten nicht zahllose Roma in der
Slowakei? Erschien die Slowakei nicht, so gesehen, geradezu als natürliche
Heimat der Roma, gewissermaßen als ihr Stammland? Und könnte es womöglich
weitere Stammländer geben? So entstand ein Pilotprojekt: »Bedarfsorientierte
Wiederansiedlung von Romas in ein Stammland, hier Slowakei«.
Zweifellos würde der Wiederansiedlungsbedarf der rheinland-pfälzischen Roma
gewaltig sein! Von, sagen wir, zunächst 500 Ausreisewilligen auszugehen schien
keinesfalls übertrieben. Voller Optimismus wandte sich der Kreis an die Bonner
Außenstelle der slowakischen Botschaft, um sie auf das rege Interesse ihrer
zukünftigen Landsleute hinzuweisen. Dass es lediglich eine vage Anfrage gab und
dass die angeblichen Ausreisewilligen keineswegs Slowaken, ja nicht einmal
EU-Bürger waren, diese Informationen müssen bei der Unterrichtung der
slowakischen Diplomaten irgendwie untergegangen sein. »Der slowakischen
Botschaft wurde zunächst eine Größenordnung von max. 500 Personen avisiert«,
notierte ein Sachbearbeiter.
Natürlich wurde nichts aus dem Pilotprojekt. Seit der Aufklärung des
Sachverhalts hat die Slowakei alles Interesse an den angeblichen
Auswanderungswilligen aus Deutschland verloren.
Erkundigt man sich in Koblenz nach der Quelle der Erkenntnise über
Roma-»Stammländer«, so verweist die Kreisverwaltung auf einen Fund im Internet,
auf der Seite der Universität Graz. Dort gibt es in der Tat ein renommiertes
Roma-Forschungsprojekt. Ein Anruf in Graz hat allerdings eine beträchtliche
Verblüffung der Experten zur Folge. Wenn es überhaupt Sinn hätte, von einem
Stammland der Roma zu sprechen, sagt eine erstaunte Mitarbeiterin, dann müsse
es sich um Indien handeln.
In Rheinland-Pfalz sind bislang keine Roma bekannt, die den Wunsch geäußert
hätten, bei Gelegenheit nach Indien auszureisen. Die Kreisverwaltung
Mayen-Koblenz besteht allerdings auf ihrem Recht, Menschen, die in Deutschland
»nicht so glücklich« seien, zur Ausreise zu verhelfen, wohin auch immer.
DIE ZEIT, 24.05.2007 Nr. 22
Gefunden in www.romnews.com
Nachtrag:
Das Thema „Zeit Artikel - Zurück ins Stammland“ war auf
Anfrage Gegenstand der Kreistagssitzung am 25.06.07.
Nach den mündlichen Ausführungen des Ersten Kreisbeigeordneten
Berhard Mauel in der Sitzung hat die Redakteurin der Zeit den Sachverhalt
falsch dargestellt.
Die in der Sitzung von den grünen Kreistagsmitgliedern
gestellte Forderung nach einer Gegendarstellung in der Zeit wurde als Anregung zur weiteren Prüfung
aufgenommen.
Mittlerweile liegt mit Schreiben vom 02.07.2007 die Antwort des
Landrates auf die Forderung zur Gegendarstellung vor.
Hiernach verzichtet die Verwaltungsspitze des Landkreises
Mayen-Koblenz nach Beratung auf eine Gegendarstellung!
Wie der Landrat in einem persönlichen Brief an den
Chefredakteur der Zeit ausführt, wäre all dies zu viel der Ehre für diesen
Artikel.
Nach eigenen Angaben der Zeit erreicht die Zeitung rund 1,4
Millionen Leser.
Schade, dass bei diesen Lesern der durch den Artikel
entstandene negative Eindruck vom Landkreis Mayen-Koblenz jetzt einfach so
unerwidert stehen bleibt.
Norbert Leimbach